Sendung: Mittendrin Redaktion
AutorIn: Ben Mendelson
Datum:
Dauer: 04:53 Minuten bisher gehört: 351
Die Mieten in Göttingen steigen weiter. Das zeigt eine Studie von zwei Wissenschaftlern der TU Dresden, die am Freitagabend in der Oberen-Masch-Straße 10 vorgestellt wurde. Robin Marlow und Michael Mießner vom Institut für Geographie haben den Göttinger Wohnungsmarkt seit 2013 jedes Jahr untersucht. Über diesen Zeitraum sind die Mieten vor allem in Grone und der Weststadt besonders stark angestiegen. Hören Sie dazu einen Bericht von Ben Mendelson.
Dieser Beitrag wird Ihnen präsentiert von: Das Backhaus

Manuskript

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Robin Marlow und Michael Mießner sind vor einem halben Jahr von der Uni Göttingen an die Technische Universität Dresden gewechselt. Dennoch beschäftigen sich die beiden Geografen weiterhin mit dem Göttinger Wohnungsmarkt. Seit 2013 haben sie jeden Sommer die Angebotsmieten in der Stadt auf den Online-Portalen Immobilienscout24 und immonet untersucht. Zwar war die Mietsteigerung in diesem Jahr mit zwei Prozent geringer als zuvor. In den letzten sechs Jahren stiegen die Mieten aber insgesamt um 28 Prozent. Besorgniserregend ist aus Sicht der Wissenschaftler vor allem, dass es immer weniger günstige Mietangebote gibt. Bei ihrer ersten Studie waren noch knapp 12 Prozent der Angebote für eine Kaltmiete unter 6 Euro pro Quadratmeter zu haben – heute sind es nur noch 0,7 Prozent der Angebote. Die Stadt Göttingen orientiere sich vor allem daran, Großinvestoren nicht zu verschrecken, sagt Michael Mießner. Die Verwaltung mache den Unternehmen Auflagen, auch einige Sozialwohnungen zu errichten.

 

O-Ton 1, Michael Mießner, 23 Sekunden.

Aber die sind für gewöhnlich sehr weich formuliert und eigentlich nichts, womit ein Investor wirklich Probleme hat. Auf diese Art und Weise kommt es immer dazu, dass sie vielleicht die eine oder andere Sozialwohnung wieder neu schafft. Diese neuen Wohnungen, die im Moment entstehen, sind aber nicht mal ansatzweise in der Lage, um das Abschmelzen der Sozialwohnungen, die jedes Jahr wesentlich weniger werden, auch nur ansatzweise aufzufangen.“
 

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Am meisten sind die Mieten seit 2013 in Grone und der Weststadt von Göttingen gestiegen. Genau dort, wo besonders viele Menschen mit geringen Haushaltseinkommen wohnen. Diesbezüglich prangern die Autoren der Studie das Verhalten privater Unternehmen wie Vonovia und der Adler Real Estate GmbH an. Beide Unternehmen haben in Grone beziehungsweise in der Weststadt versucht, unter anderem durch Modernisierungen in kurzer Zeit deutliche Mieterhöhungen durchzusetzen. Seit 25 Jahren lebt Sabine in ihrer Wohnung in der Weststadt, seit drei Jahren ist der Konzern Vonovia ihr Vermieter. Sabine möchte nicht, dass ihr Nachname in diesem Beitrag genannt wird. Aufgrund von 2017 angekündigten Modernisierungen, die mit deutlichen Mieterhöhungen einher gehen würden, hat sich Sabine mit anderen Betroffen in der Initiative Vonovia Mieter*innen Göttingen zusammengeschlossen. Sie ist sehr unzufrieden mit dem DAX-Konzern:
 

O-Ton 2, Sabine, 26 Sekunden.

Also sozialen Wohnungsbau gibt‘s da nicht. Ich glaube, den Begriff kennt Vonovia nicht. Die sagen zwar, sie sind „sozialer Vermieter“ und sind ja auch bundesweit die größten. Aber gerade bei uns in der Gegend wohnen auch viele ältere Leute, die haben das Problem: Sie sagen nichts, weil sie lassen lieber die Butter vom Brot, als dass sie zugeben würden, dass die Wohnung zu teuer wird. Und ganz oft sind eben diese älteren Erstbezieher, aus der Zeit als damals die Wohnungen gebaut wurden. Und wenn die mal versterben, dann kann man da richtig Profit rausschlagen.“
 

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Für mehr günstigen Wohnraum zu sorgen sei gar nicht so einfach, sagt Michael Mießner. Die Mietpreisbremse, die von Städten in Niedersachsen eingeführt werden kann, sei nur effektiv, um extreme Mietsteigerungen zu verbieten. Einen grundsätzlichen Anstieg der Mieten könne man so aber nicht verhindern. Es sei vor allem wichtig, dass die Stadt mehr Druck auf Investoren ausübe. Außerdem solle die Verwaltung städtische Grundstücke nicht privatisieren, sondern an die eigenen Wohnungsbaugesellschaften oder Genossenschaften verkaufen, und das zu einem möglichst niedrigen Bodenpreis. Gerade dieser sei entscheidend um günstige Mieten zu ermöglichen. Sollte die Stadt keinen Kurswechsel in der Wohnungspolitik vollziehen, sieht Michael Mießner die Göttinger Zukunft kritisch:
 

O-Ton 3, Michael Mießner, 30 Sekunden

Es könnte sein, dass wir es zukünftig noch stärker als bisher mit einem Bevölkerungsaustausch zu tun haben, bei dem einkommensschwache Personen die Stadt verlassen müssen, weil sie es sich nicht mehr leisten können, die Stadt gleichzeitig auch attraktiver wird durch andere innerstädtische Entwicklungen, die sie vorantreibt – aber eben für eine ganz bestimmte Zielgruppe, ein zahlungskräftigeres Publikum. Und je mehr dieses zahlungskräftige Publikum in die Stadt drängt, umso schwieriger wird es für die einkommensschwachen Bevölkerungsgruppen. Und das ist tatsächlich ein großes Problem, vor dem wir stehen.“
 

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Bei der Vorstellung der Studie am Freitag wirkten die etwa 30 Anwesenden teilweise ernüchtert. Resignation machte sich dennoch nicht breit, immerhin waren viele Aktive aus den Göttinger Initiativen vom Bündnis „Gutes Wohnen für Alle“ dabei, die mit der Stadtverwaltung um eine sozialverträglichere Wohnungspolitik ringen. Die Initiativen bekundeten, dass sie sich auch weiterhin für die Interessen der Mietenden einsetzen wollen. Auch Sabine von der Gruppe Vonovia Mieter*innen Göttingen will nicht aufgeben. Sie kämpft gegen ein „Weiter so“ in der Stadtpolitik. Denn sollte sich nichts ändern, zeichnet auch sie ein düsteres Bild der Entwicklung in Göttingen:

 

O-Ton 4, Sabine, 31 Sekunden

Ich das Gefühl, dass sich die Stadt total verändern wird, weil nur noch wer‘s sich leisten kann hier wohnen kann. Und das Stadtbild wird anonym werden, weil man sich nicht mehr kennt, die Strukturen brechen dadurch auseinander. Die Leute, die auch die Viertel zusammenhalten, die da aufgewachsen sind, das wird alles verdrängt und dann ist Göttingen irgendwann eine tote Stadt. Das ist nur noch ein Durchzug von irgendwelchen Fremden. Das fänd‘ ich grauenvoll, weil ich finde Göttingen toll, gerade das Gemütliche, das Nicht-Großstadtmäßige und ich brauch auch den Hype nicht. Ich finde gerade das Gemütliche, Schöne und das Überschaubare in Göttingen so toll.“