Sendung: Mittendrin Redaktion
AutorIn: Jakob Mansius
Datum:
Dauer: 03:35 Minuten bisher gehört: 328
Häusliche Gewalt ist ein zu selten besprochenes Thema. Viele Opfer von Gewaltbeziehungen verschweigen oft ihre Probleme oder kehren sie unter den Tisch. Wenn dann doch die Polizei kommt, weil etwa der Nachbar die Schreie gehört hat, kann sie oft nicht mehr machen, als den Täter des Hauses zu verweisen oder um Ruhe zu bitten. Um besser agieren zu können, hat die Polizei in Göttingen eine Kooperationsvereinbarung mit den Beratungs- und Interventionsstellen BISS geschlossen. Jakob Mansius berichtet.
Dieser Beitrag wird Ihnen präsentiert von: Das Backhaus

Manuskript

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Die MeToo-Debatte hat die Diskussionen über sexuelle und körperliche Gewalt ins Rollen gebracht und brachte dem Thema so endlich Aufmerksamkeit. Tausende Twitter-User teilten die Erfahrungen und Geschichten der missbrauchten Schauspieler, Politiker und anderer Promis. Einige teilten sogar ihre eigenen. Über eins wird jedoch immer noch zu selten gesprochen: Häusliche Gewalt. Die letzten Statistiken aus 2017 zeigen, dass über 138.000 Menschen in Deutschland Opfer von Gewalt durch ihren Partner oder Ex-Partner wurden. In Göttingen hat die Polizei über 800 Mal im Jahr, also mehr als zwei mal täglich, Fälle von häuslicher Gewalt. Die Opfer sind meist Frauen. Ein Viertel der Frauen in Deutschland hat mindestens einmal in ihrem Leben Partnerschaftsgewalt erlebt. Gewalt kennt viele Gesichter, die gerade von Männern oft nicht ernstgenommen würden. Claudia Meise, Vorstandsmitglied des Frauen-Notruf-Göttingen, erklärt, was häusliche Gewalt ist:

 

O-Ton 1, Claudia Meise, 28 Sekunden

"Da geht es darum, dass man sagt, es gibt emotional psychische Gewalt und da fängt es an, wenn ich jemanden schon immer niedrig und klein mache vor anderen, vor Freunden, im Grunde genommen die Person nicht wertschätze. Immer weiter bis zu großen Beleidigungen. Dann natürlich auch körperliche Gewalt. Kontrolle ist da eben auch ein großes Stichwort in allen Bereichen. Dass ich isoliert werde von Freunden und Familie. Dass überhaupt kein Korrektiv mehr da ist, dass andere sagen könnten: "Das ist aber komisch bei euch." oder: "Wie läuft denn das?". Und es geht natürlich auch um sexuelle Gewalt."

 

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Seit 2003 hat die Polizeiinspektion in Göttingen eine Kooperationsvereinbarung mit der Beratungs- und Interventionstelle (BISS) in Göttingen. Inzwischen gibt es eine neue. Durch die Fusion der Landkreise Göttingen und Osterode kommt auch die BISS-Stelle Osterode dazu. Die Kooperation funktioniert so: Wenn die Polizei einen Einsatz wegen häuslicher Gewalt hat, dann wird ein Bericht erstellt und an die BISS-Stelle geschickt. Diese versucht dann, Kontakt mit den Opfern aufzunehmen und ihnen psychologische oder juristische Beratung anzubieten. Sie gehen mit den Betroffenen zum Anwalt, suchen nach einer Unterkunft oder vermitteln sie an Ärzte. Das Besondere der Kooperation ist das pro-aktive Auftreten der BISS-Stellen. Sie nehmen, anders als bei gewöhnlichen Beratungsstellen, selber den Kontakt mit den Opfern auf. Die Opfer müssen also nicht von sich aus anrufen. Ohne die BISS kann ein Problemrückfall meist nicht verhindert werden. Das liegt an den begrenzten Möglichkeiten der Polizei. Sie könne die Täter vielleicht des Hauses verweisen oder auch die Schlüssel wegnehmen. Ohne Strafanzeige, die die Opfer, zum Beispiel aus Scham, oft nicht stellen, kann die Polizei aber nicht weiter agieren. Andreas Stöbener, Polizeihauptkommissar in Göttingen erzählt über die Herausforderungen und Aufgaben der Polizei, wenn es zu einem Einsatz kommt:

 

O-Ton 2, Andreas Stöbener, 24 Sekunden

"Es geht hier in erster Linie um Fingerspitzengefühl. Das Opfer zu verstehen, aber auch den Beschuldigten zu verstehen und eine Art Pattsituation zu schaffen, um in weiteren Ermittlungen und Maßnahmen beispielhaft die BISS einzuschalten, um nachhaltig zu agieren und dem Opfer nicht nur das Gefühl zu geben, sondern die Sicherheit zu geben, dass man es nach dem Polizeieinsatz nicht vergisst."

 

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Die meisten Opfer sind häufig jahrelang in ihren Gewaltbeziehungen gefangen. Für viele misshandelte Frauen und ihre Kinder sind Frauenhäuser oft die letzte Rettung. Doch die Häuser sind überfordert. Die Plätze sind voll, die Kosten zu hoch – so auch in Osterode. Dort bietet der Verein Frauen-Für-Frauen vier Plätze für Frauen und ihre Kinder. Seit der Fusion der Landkreise gebe es viele unbewältigte Probleme. Susanne Dreymann, Mitarbeiterin der BISS-Stelle Frauen-Für-Frauen Osterode, macht die Misstände deutlich:

 

O-Ton 3, Susanne Dreymann, 17 Sekunden

"Da hat sich die Finanzierung einfach deutlich verschlechtert für den Verein und dadurch ist auch die Aufnahme der Frauen deutlich schwieriger geworden. Und die Finanzierung der Frauen muss viel leichter werden. Es muss mehr Frauenhäuser geben und auch der Weg in die Frauenhäuser darf durch die Bürokratie nicht erschwert werden, was momentan der Fall ist."