Sendung: Mittendrin Redaktion
AutorIn: Tanita Schebitz
Datum:
Dauer: 04:36 Minuten bisher gehört: 353
Lange Wartezeiten, überfüllte Wartebereiche, gestresste Ärztinnen und Ärzte, das ist Alltag in vielen deutschen Notaufnahmen. Ein Grund, warum es dort immer wieder so voll wird: Viele der Hilfesuchenden sind gar keine wirklichen Notfälle und wären eigentlich besser beim kassenärztlichen Bereitschaftsdienst aufgehoben. Die Situation in der Notaufnahme des Universitätsklinikums Göttingen (UMG) stellt hierbei keine Ausnahme dar. Um die angespannte Lage im Bereich der Notfallversorgung wieder besser in den Griff zu bekommen, ist im vergangenen Jahr ein Verbundprojekt gestartet, das von der Universitätsmedizin Göttingen aus koordiniert wird. Worum es dabei geht und wie der aktuelle Stand aussieht, hat Tanita Schebitz im Gespräch mit Prof. Dr. Sabine Blaschke, der ärztlichen Leiterin der interdisziplinären Notaufnahme des UMG,herausgefunden.

Manuskript

Text

Um 75 Prozent ist die Zahl der Menschen, die eine Notaufnahme aufsuchen, seit dem Jahr 2010 angestiegen - dabei handelt es sich jedoch oft nicht um akute Notfälle. Für die Notaufnahmen ist diese Entwicklung problematisch, denn sie stoßen zunehmend an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit. Das zu ändern, daran arbeitet das im Juni 2018 gestartete Verbundprojekt OPTINOFA, kurz für „Optimierung der Notfallversorgung durch strukturierte Ersteinschätzung mittels intelligenter Assistenzdienste“. Die ärztliche Leiterin der interdisziplinären Notaufnahme an der Universität Göttingen, Sabine Blaschke, koordiniert das Projekt:

 

O-Ton 1, Sabine Blaschke, 23 Sekunden

Das Ziel ist, dass wir die Patienten in verschiedene Bereiche steuern möchten und zwar in den Bereich der ambulanten Notfallversorgung, der hausärztlich entsprechend versorgt wird, und in den Bereich der stationären Notfallversorgung, wo die schwerwiegenden Notfälle versorgt werden, sodass wir quasi eine Dringlichkeitseinschätzung durchführen, vor der Notaufnahme, und dann die Patienten diesen verschiedenen Bereichen strukturiert zuweisen.“

 

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Diese strukturierte Ersteinschätzung soll mithilfe von intelligenten Assistenzdiensten durchgeführt werden. Dabei handelt es sich um eine digitale Wissensplattform, die mithilfe eines Algorithmus die zwanzig häufigsten Leitsymptome abfragen soll. Auch weitere Parameter wie Vitalwerte, Blutdruck, Herzfrequenz, Sauerstoffsättigung sowie wichtige Warnsignale fließen in die Ersteinschätzung mit ein, die dann die Zuweisung der Patientinnen und Patienten entweder zum kassenärztlichen Bereitschaftsdienst oder in die stationäre Notaufnahme ermöglichen soll. Die Software des intelligenten Assistenzdienstes basiert dabei auf einer breiten Datengrundlage:

 

O-Ton 2, Sabine Blaschke, 36 Sekunden

Wir bauen unser System auf auf einer vorhandenen Wissensplattform, die wir im Rahmen eines vorherigen Forschungsprojektes etabliert haben. Die Algorithmen basieren auf international validierten Ersteinschätzungssystemen, es gibt weltweit etwa vier bis fünf Ersteinschätzungssysteme, und aufbauend auf diesen haben wir für die zwanzig häufigsten Leitsymptome, die in den Notaufnahmen auftreten, entsprechende Algorithmen entwickelt, die es nun ermöglichen, durch eine Programmierung diesen Algorithmus auch in eine intelligente Wissensbasis umzuwandeln und auf einem Tablet zu präsentieren.“

 

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Die der Notaufnahme vorgelagerte Dringlichkeitseinschätzung wird dabei aber weiterhin von Ärztinnen und Ärzten oder entsprechend qualifiziertem Pflegepersonal vorgenommen, die intelligenten Assistenzdienste sollen diese vor allem unterstützen. Wie es weitergeht, wenn jemand im Rahmen der Ersteinschätzung doch besser beim kassenärztlichen Notdienst aufgehoben wäre als in der stationären Notaufnahme, erklärt Blaschke:

 

O-Ton 3, Sabine Blaschke, 23 Sekunden

In den meisten Krankenhäusern ist es mittlerweile so, dass dort eine enge Kooperation besteht mit der kassenärztlichen Vereinigung, und quasi eine Portalpraxis, die die ambulante Notfallversorgung durchführt, vor Ort lokalisiert ist, oder aber in der Nähe des jeweiligen Krankenhauses, sodass dann die Zuweisung eines ambulanten Notfalls in diesen Bereich der kassenärztlichen Bereitschaftsdienstpraxis folgen würde.“

 

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Das OPTINOFA Projekt ist auf eine Laufzeit von dreieinhalb Jahren angelegt und wird mit 4,3 Millionen Euro aus dem Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses gefördert. Mehrere Projektpartner, darunter verschiedene Krankenkassen, Kassenärztliche Vereinigungen und Modellkliniken sind daran beteiligt. Ein knappes Jahr ist seit dem Start der Projektphase bisher vergangen. Projektkoordinatorin Sabine Blaschke wagt einen Ausblick, wie es weitergeht:

O-Ton 4, Sabine Blaschke, 41 Sekunden

Wir sind augenblicklich in der Vorbereitungsphase der klinischen Studie, um zu evaluieren, ob unser System tatsächlich die erwartete Reduktion der ambulanten Notfallbehandlung in den Notaufnahmen herbeiführt. Das sind sehr umfangreiche Vorbereitungen, zum einen müssen wir die intelligenten Assistenzdienste entwickeln, aber auch mit den technologischen Partnern zusammen programmieren lassen. Des Weiteren müssen wir in den einzelnen Modellkliniken, die für dieses Projekt auch tätig sein werden Vorbereitungen treffen, damit sie in ihren Notaufnahmen dieses neue System auch entsprechend anwenden können. Wie gehen davon aus, dass wir dann ab 2021 in die Phase eintreten können, wo es zur Anwendung dieses neuen Systems kommt.

 

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Zuerst allerdings nur in den Modellkliniken. Bewährt sich das System dort, könnte es zukünftig auch bundesweit eingesetzt werden. Dies würde dann eine deutliche Entlastung der Notaufnahmen bedeuten.