Leben ohne feste Unterkunft in Göttingen
Sendung: | Mittendrin Redaktion |
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AutorIn: | Ben Mendelson |
Datum: | |
Dauer: | 04:55 Minuten bisher gehört: 267 |
Manuskript
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Wohnungslosigkeit ist in ganz Deutschland ein Problem, vor allem in Großstädten. Auch in Göttingen sind im Winter die Sammelunterkünfte voll. Im Gegensatz zu Städten wie Berlin müssen hier zum Glück nicht zahlreiche Menschen in Parks oder unter Brücken übernachten, wo sie Kälte und Nässe ausgeliefert sind. Doch auch mit einer zwischenzeitlichen Unterkunft, zum Beispiel bei Freunden, stehen Menschen ohne festen Wohnsitz vor Problemen. Viele bekommen zum Beispiel kein Bankkonto, selbst wenn sie einen Job haben. Hier hilft der „Verein Förderer“. Er stellt zum Beispiel für etwa 90 Menschen ein Konto zur Verfügung, über das die Wohnungslosen ihre Gelder bekommen können. Dutzende Menschen geben außerdem die Adresse des Vereins im Rosdorfer Weg als Erreichbarkeits-Adresse an, damit ihnen Post zugestellt werden kann. Der Projektleiter vom „Verein Förderer“, Uwe Friebe, sagt, dass der überlastete Wohnungsmarkt in Göttingen auch ein großes Problem darstellt.
O-Ton 1, Uwe Friebe, 31 Sekunden
„Ich weiß, es werden mittlerweile in Göttingen Garagen vermietet, da werden in die Türen Fenster eingebaut und da, wo der Golf stand oder der SUV nicht mehr reinpasst, kann man noch 400 Euro für die Garage nehmen. Also wir haben Leute, die leben in Läden wo die Schaufenster mit einem Lappen zugehängt sind. Das sind alles Sachen, die würde ich gar nicht als Wohnen bezeichnen. Ich würde da sagen: Das sind Notunterkünfte. Und diese Situation nimmt halt immer mehr zu, weil immer die schlimmsten Löcher weiter vermietet werden und wir eigentlich wenig dafür tun, dass neue Wohnungen, die bezahlbar sind, auch gebaut werden.“
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Dass es in Göttingen sehr schwierig ist, mit geringem Einkommen eine Wohnung zu finden, ist wohl inzwischen vielen Menschen klar. Auch Ramona und Michael haben diese Erfahrung gemacht. Die beiden heißen nicht wirklich so, möchten aber nicht, dass ihre richtigen Namen im Radio genannt werden. Ramona war nach ihrer Kündigung aufgrund einer Krankheit in der Reha. Als sie zurückkam, wurde sie von Uwe Friebe und Elke Niemeyer-Friebe im Gästezimmer im Rosdorfer Weg 17 aufgenommen. Von dort aus wollte sie sich auf Wohnungssuche begeben. Da sie Hartz IV bekommt, hätten viele Vermieter sie aber direkt abgestempelt, erzählt Ramona:
O-Ton 2, Ramona, 29 Sekunden
„Entweder haben sie gleich abgesagt oder sie haben mich zu Sammelbesichtigungen bestellt, wo ich dann eh gleich wusste: Okay, wird nichts. Dann habe ich meinen jetzigen Vermieter gefunden, der gesagt hat, dass es in Ordnung ist, weil ich ihn davon überzeugen konnte, dass ich wirklich arbeiten will und dass ich etwas finden werde, was jetzt Gott sei Dank auch so ist. Es ist brutal schwierig, ohne Wohnung eine Arbeit oder ohne Arbeit eine Wohnung zu finden. Ich musste gucken, dass ich in Kombination beides auf die Reihe kriege. Da gehört natürlich auch ein Quäntchen Glück dazu.“
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Bei Michael hat es noch nicht geklappt. Vor Jahren hatte er sich mit seiner Freundin verkracht und deshalb draußen übernachtet. Wenig später sei auch seine Freundin auf der Straße gelandet und zu ihm ins Zelt unter eine Brücke gezogen. Gemeinsam mit ihrem Hund habe er seit vier Jahren draußen geschlafen, erzählt Michael – auch im Winter. Davon wurde er krank. Er habe Bandscheibenprobleme und könne nicht mehr über fünf Kilo heben. Damit habe er keine Chance auf dem Arbeitsmarkt. Gerade kann er ab und zu bei seiner Freundin unterkommen, die inzwischen eine Wohnung gefunden hat. Aber er hätte gern seine eigene Bleibe. Bislang sucht er jedoch ohne Erfolg.
O-Ton 3, Michael, 19 Sekunden
„Das zieht einen ganz schön runter. Man guckt und guckt und guckt – und kriegt immer nur Absagen. Das zieht einen runter und dann denkt man: Da kommt sowieso nichts mehr. Die Absagen waren meistens auch wegen des Hundes. Da haben sie mir gesagt: „Entweder den Hund abschaffen, dann bekommen Sie die Wohnung“, oder „Wenn Sie den Hund nicht abschaffen, bleiben Sie unter der Brücke“. Und da habe ich gesagt: Dann schlaf ich lieber unter der Brücke, bevor ich meinen Hund abgebe.“
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Dass sie ihre Haustiere nicht mitnehmen dürften, sei für manche Wohnungslose auch ein Grund, nicht in eine Sammelunterkunft zu gehen. Die Hausregeln seien für manche abschreckend, sagt Friebe. Zu Weihnachten wird er sich mit einem kleinen Kreis von Engagierten vom „Verein Förderer“ zusammensetzen. Außerdem wollen sie wie im vergangenen Jahr kleine Weihnachtstüten an die Kinder aus der Groner Landstraße 9 verteilen, eventuell diesmal auch an die Kinder aus dem Iduna-Zentrum. Friebe arbeitet seit 30 Jahren in der Hilfe für Wohnungslose. Auf die Frage, wieso er immer noch aktiv sei, sagt er, dass es ihm Spaß mache. Hier gebe es eine andere Form von Dankbarkeit.
O-Ton 4, Uwe Friebe, 25 Sekunden
„Es gibt glaube ich ein arabisches Sprichwort: ‚Wenn man Einen rettet, hat man die Welt gerettet.‘ Das ist dann der Grundsatz für mich. Ich bin zwar kein Moslem, aber das zählt dann trotzdem für mich. Ziel ist es, möglichst immer Einem zu helfen und der nächste, der kommt, ist dann wieder der Eine. Und so macht man das halt immer so weiter. Man fällt oft genug auf die Nase. Ich habe Leute hier, deren Väter ich schon kenne, weil die auch schon in der Szene waren. Und jetzt kümmere ich mich um die Kinder von denen.“
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Daran ließe sich erkennen, dass Wohnungslosigkeit ein strukturelles Problem sei, sagt Friebe. Er kritisiert, dass in Deutschland immer noch der Bildungserfolg der Kinder vom Geld abhänge und ärmere Familien dadurch stark benachteiligt würden. Der „Verein Förderer“ bietet zahlreiche Beratungsangebote für Wohnungslose, bekommt aber keine staatlichen Zuschüsse. Daher betreibt er einen Trödelladen in der Königsberger Straße 12 und bietet Haushaltsentrümpelungen an, um Einnahmen zu generieren. Außerdem gibt es im Rosdorfer Weg 17 eine Kleiderkammer, in der Interessierte Kleidungsstücke erwerben können.
Zur Verfügung gestellt vom StadtRadio Göttingen
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