Frauen in der Politik: Parité als Ziel
Sendung: | Mittendrin Redaktion |
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AutorIn: | Jennifer Bullert |
Datum: | |
Dauer: | 06:35 Minuten bisher gehört: 163 |
Manuskript
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Heute ist es für viele selbstverständlich, dass Frauen ebenso wie Männer an die Wahlurnen treten dürfen. Das sah zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Deutschland noch anders aus: Erst 1918 und somit vor gerade einmal etwas mehr als 100 Jahren erkämpften sich die Frauen hierzulande das Wahlrecht. Damit zählte Deutschland auch nicht gerade zu einem der weltweiten Vorreitern. Da lohnt schon einmal ein Blick auf die andere Seite der Erdkugel. Denn in Neuseeland erhielten Frauen bereits 1893 das aktive Wahlrecht. Dort bekleidet aktuell mit Jacinda Ardern auch eine Frau das Amt der Premierministerin. Während ihrer Schwangerschaft musste sich die Regierungschefin auch gleich dafür rechtfertigen, wie sie Familie und Beruf unter einen Hut bekommen will – eine Frage, die Männern in ähnlicher Situation wohl nicht gestellt werden würde. Tatsächlich ist für Frauen die Frage nach Familie oder Karriere immer noch im Alltag präsent – auch und gerade in der Politik. Die niedersächsische Landtagspräsidentin Gabriele Andretta will weiter für Gleichberechtigung kämpfen. Die Ursachen für die immer noch anhaltende Unterrepräsentanz von Frauen in politischen Parlamenten sind in ihren Augen vielfältig – unter anderem auch wegen einer anhaltenden patriarchalische Kultur in der Politik:
O-Ton 1, Gabriele Andretta, 39 Sekunden
„Nach wir vor haben wir sehr traditionelle Geschlechterrollenzuschreibungen. Nach wie vor tragen Frauen die Hauptlast der Verantwortung der Kindererziehung, aber auch dann, wenn es um Pflege von Angehörigen geht. Das heißt, zum Einen haben Frauen weniger die zeitlichen Ressourcen, sich einzubringen in die Politik, und Frauen haben nicht diese Netzwerke in der Politik, die sie fördern, die ihnen ermöglichen, auch attraktive Positionen zu erreichen.“
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Außerdem würden Frauen in der Politik, Andretta zufolge, manchmal auch mit Misstrauen beäugt. Göttingens Bürgermeisterin Helmi Behbehani pflichtet Andretta hinsichtlich der Bedeutung von Netzwerken bei. Seit 25 Jahren engagiert sie sich bereits in der Politik. Genau wie die Landtagspräsidentin verweist sie dabei auch auf Mentoringprogramme, bei denen beispielsweise erfahrene Ratspolitiker Politneulinge unter ihre Fittiche nehmen und fördern. Problematisch sei es, dass Frauen oft Hemmungen hätten, für ihren Standpunkt einzutreten und so aktiv zu gestalten, meint Behbehani. Zudem seien Frauen in der Politik wie auch in der Wirtschaft Äußerlichkeiten unterworfen: Dresscodes seien da nur ein Punkt. Frauen müssten ermutigt werden, Machtpositionen zu besetzen und selbstbewusst auftreten, so Behbehani. Eine quotierte Liste allein reiche dabei nicht aus, obwohl sie natürlich wichtig sei. Frauen müssten aber auch Prioritäten setzen, so die Bürgermeisterin:
O-Ton 2, Helmi Behbehani, 35 Sekunden
„Wenn man wirklich im Rat was gestalten will, dann muss man ziemlich viel arbeiten. Und dazu muss man dann bereit sein. Und wenn man dann im Job weiterkommen will und gerade jüngere Menschen, die jetzt auch im Rat sind, sind ja auch in wichtigen Phasen im Beruf, und vielleicht noch in die Familienphase kommt und Kinder haben, dann ist das schon eine große Herausforderung. Und Frauen müssen bereit sein, diese Herausforderung anzunehmen. Auch mit allem was daran hängt, auch mit allen Unannehmlichkeiten und der vielen Arbeit.“
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Im Göttinger Rat sieht es mit der Frauenquote übrigens vorbildlich aus: 24 der 47 Ratsmitglieder sind weiblich – dabei sind gerade in den Kommunalparlamenten meist weniger Frauen tätig als Männer. Im Göttinger Kreistag hingegen ergibt sich wieder ein anderes Bild: Von den 129 Abgeordneten sind noch nicht einmal 35 Prozent weiblich. Behbehani räumt ein, dass es in der Fläche noch immer anders aussehe. Göttingen sei jedoch auch Universitätsstadt, was sich auf die Zahl der Frauen in der Ratspolitik auswirke.
O-Ton 3, Helmi Behbehani, 39 Sekunden
„Die Voraussetzungen sind hier so, dass wir im Bereich der Gleichstellung auch schon ziemlich weit sind. Und ich denke, dass das auch eine Rolle gespielt hat bei der Zusammensetzung der Listen: Frauen nämlich auf die Plätze zu setzen, bei denen man die beste Chance hat, reinzukommen auch. Also die Listen sind ja zehn Plätze lang und oft ziehen nur die ersten drei, manchmal auch nur die ersten zwei Plätze. Und dann müssen eben Frauen auf diese Plätze kommen. Und wir besetzen abwechselnd Mann-Frau und bei uns in der SPD-Fraktion hat das geklappt: Wir sind 15 und davon sind acht Frauen.“
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Landtagspräsidentin Andretta pocht auf Parité nach dem Vorbild Frankreichs. Dort müssen gleich viele Frauen wie Männer auf den Listen stehen. In Ländern wie Belgien, Portugal, Slowenien oder Spanien gibt es ebenfalls bereits spezielle Quotenregelungen für die Zahl von Frauen in Parlamenten. Nachdem Ende Januar 2019 der brandenburgische Landtag die Einführung eines Parité-Gesetzes beschlossen hat, hat sich zuletzt beispielsweise auch die niedersächsische Ministerin für Gleichstellung, Carola Reimann, für ein solches Gesetz ausgesprochen. Wie ihr Ministerium mitteilt, sollen auch in Niedersachsen entsprechende Voraussetzungen geprüft werden, um Frauen den Zugang in die Politik zu erleichtern. Sowohl Göttingens Bürgermeisterin Behbehani als auch Landtagspräsidentin Andretta wollen Frauen ermutigen, den Schritt in die Politik zu wagen. Dafür müssten die entsprechenden Rahmenbedingungen geschaffen werden, für die alle die Verantwortung tragen, fordert Andretta. Sprich: Die Kinderbetreuung spiele gerade auf kommunaler Ebene eine Rolle, die Sitzungszeiten von Räten und Ausschüssen müssten eine Vereinbarkeit mit dem Familienleben zulassen, Mentoringprogramme und die daraus entstehenden Solidaritätsnetzwerke könnten zugleich unterstützen. Frauen sollten zudem ihre Leistungen nicht geringschätzen, warnt Andretta und appelliert an die Frauen:
O-Ton 4, Gabriele Andretta, 42 Sekunden
„In den Parlamenten wird die Lebenswirklichkeit mitbestimmt. Denken wir an den großen Gleichstellungsnachholungsbedarf, den wir haben bei der Anerkennung von sozialen Berufen; den wir haben bei der immer noch eklatanten Lohnungleichheit; den wir haben bei der Rentenungerechtigkeit. Altersarmut ist weiblich. Und um all dieses zu verbessern, bin ich davon überzeugt, brauchen wir auch die Frauen in den Parlamenten, die ihre Stimme erheben und auch hier Fortschritte ermöglichen.“
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