Kinderarmut – Podiumsdiskussion über Ursachen und akuten Handlungsbedarf
Sendung: | Mittendrin Redaktion |
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AutorIn: | Nicklas Krämer |
Datum: | |
Dauer: | 05:13 Minuten bisher gehört: 374 |
Manuskript
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Wenn in Deutschland über von Armut bedrohte Altersgruppen gesprochen wird, steht oft Altersarmut als Thema im Mittelpunkt. Der demografische Wandel und die nicht zureichende Rentenversorgung gefährden für viele einen würdevollen Lebensabend. Dieses Schicksal droht vielen Deutschen, obwohl sie 40 Jahre oder mehr gearbeitet haben, aber aufgrund schlechter Bezahlung nur wenig in die Rentenkasse einzahlen konnten. Doch nicht nur im Alter droht verstärkt die Armut. Auch Kinder sind in Deutschland von Armut bedroht. Jedes fünfte Kind in Deutschland ist armutsgefährdet. Das entspricht 2,55 Millionen Kindern bundesweit, die in relativer Armut leben müssen. Aber wieso ist diese Zahl in einem reichen Land wie Deutschland so hoch? Um diese Herausforderung sozialer Gerechtigkeit zu beleuchten, hat die Friedrich-Ebert-Stiftung eine Podiumsdiskussion zum Thema Kinderarmut veranstaltet. Unter anderem war dort Soziologieprofessor Gerhard Bäcker der Universität Duisburg-Essen zu Gast. Er beschreibt die Ursachen von Kinderarmut wie folgt:
O-Ton 1, Gerhard Bäcker, 21 Sekunden
„Ursachen von Kinderarmut sind zunächst einmal immer Armutslagen im Elternhaus. Wenn beide Elternteile oder alleinerziehende Elternteile nur wenig Einkommen haben, weil sie beispielsweise arbeitslos sind oder weil sie in einer Niedriglohnbeschäftigung arbeiten, dann wirkt sich dies unmittelbar auf die Kinder aus. Also Kinderarmut ist immer auch Elternarmut.“
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Aber wann ist ein Kind überhaupt arm? Das kann natürlich nicht am Einkommen des Kindes festgemacht werden. Grundsätzlich gibt es zwei verschiedene Arten, das Konzept der Armut aufzugreifen. Die erste Variante ist die sogenannte Lebenslagenarmut. Hier gilt ein Mensch als arm, wenn seine Lebenszustände ein soziokulturelles Minimum unterschreiten, ihm also Standards an Wohnung, Bildung, sozialer Teilhabe und Gesundheit fehlen. Wo diese Standards liegen, ist aber jeweils von der Gesellschaft bestimmt. Durch diesen Bezug zur Gesellschaft sprechen Experten auch von einer relativen Armut. Eine weitere, greifbarere Definition relativer Armut, ist die Armut an Geld. Allgemein wird anerkannt, dass Haushalte, die weniger als 60 Prozent des Einkommens eines durchschnittlichen Haushalts zur Verfügung haben, als arm gelten. Dabei wird das verfügbare Einkommen je nach der Anzahl der Personen im Haushalt gewichtet. Ein Einpersonenhaushalt gilt beispielsweise als arm, wenn weniger als 781 Euro zur Verfügung stehen. Neben dem Abbau der Armut der Eltern sieht Bäcker aber noch weiteren Handlungsbedarf:
O-Ton 2, Gerhard Bäcker, 29 Sekunden
„Das erste wäre natürlich, für eine Verbesserung der Einkommenslage der Elternhäuser zu sorgen, durch höhere Mindestlöhne, durch Vermeidung von prekärer Beschäftigung, durch eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Das zweite wäre, die Infrastrukturleistung im Bereich Kindertagesstätten, im Bereich schulische Angebote auszuweiten. Das dritte wäre auch mehr Geld, Transfers für Familien mit Kindern, die an der Armutsgrenze leben, bereitzustellen.“
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Bei Kinderarmut geht es aber nicht nur ums Geld. Das Leben in Armut kann auch schon im Kindesalter bleibende Schäden hinterlassen. Je länger ein Kind oder auch ein Mensch in Armut lebt, desto höher ist das Risiko solcher Schäden. Durch schlechte Ernährung und zu wenig Wohnraum können gesundheitliche Schäden entstehen. Durch soziale Isolation und mangelnde soziale Teilhabe erfolgt auch eine räumliche Ausgrenzung. Oft führt das auch zu einer regionalen Konzentration von Armut und psychischen Erkrankungen. Trotz der Bildungsexpansion der letzten Jahre führt Armut oft zu Bildungsbenachteiligung, was letztendlich auch zu einer Vererbung von Armut führt. Wer also der Armutsfalle entkommen möchte, braucht Bildung. Auch in Göttingen ist Kinderarmut ein Thema. In ganz Deutschland beziehen 14,2 Prozent der unter 18-Jährigen eine Grundsicherung. Der Wert in Göttingen liegt dabei mit 12,2 Prozent ein wenig niedriger. Doch jedes Kind, das auf eine Grundsicherung angewiesen ist, ist eines zu viel, sagt Michael Bonder, Geschäftsführer des AWO Kreisverbandes Göttingen.
O-Ton 3, Michael Bonder, 18 Sekunden
„Wir brauchen viel mehr bezahlbaren Wohnraum, wir brauchen vor allen Dingen bezahlbaren Wohnraum für Familien mit Kindern. Wir brauchen bessere Arbeitsbedingungen, als das zum Beispiel, sagen wir mal im Paketzustellerdienst im Moment der Fall ist. Und wir müssen halt die Ganztagsbetreuung der Kinder, egal in welcher Altersstufe, enorm fördern.“
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Obwohl die Anzahl der Kinder, die in Göttingen Transferleistungen beziehen, stetig sinkt, besteht weiterhin Handlungsbedarf. Die Transferleistungsquoten hängen stark mit der Infrastruktur vor Ort zusammen. Besteht beispielsweise keine ausreichende Versorgung mit Kindertagesstätten, ist die Wahrscheinlichkeit dort höher, dass Menschen auf Transferleistungen wie Hartz IV angewiesen sind. So besteht die geringste Versorgung mit Kindertagesstätten Göttingens in Grone. Was die Politik neben einem KiTa-Ausbau tun kann, erklärt Göttingens Oberbürgermeister Rolf-Georg Köhler:
O-Ton 4, Rolf-Georg Köhler, 30 Sekunden
„Wir müssen dafür sorgen, dass die Menschen, die Ansprüche haben, auch diese Ansprüche gegenüber dem Staat formulieren können. Also Anträge so machen, dass jemand mit einer nicht ganz so hohen Bildung auch das ausfüllt. Dass sie das, was ihnen zusteht, auch in Anspruch nehmen. Dann kann man natürlich sehr lange darüber diskutieren, inwieweit im Regelsatz des SGB II und XII angemessen berücksichtigt ist, die Versorgung von Kindern. Ich glaube, dass man da deutlich nachsteuern muss. Wenn man das schafft, hat man viel erreicht.“
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Vermutlich wird keine der genannten Maßnahmen Kinderarmut auf einen Schlag aus der Welt schaffen. Bäcker betont, dass es viele Schritte in die richtige Richtung brauche, um das Problem effektiv anzugehen.
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