Amtszeitverlängerung von Bürgermeister:innen in Niedersachsen – eine gute Idee?
Sendung: | Mittendrin Redaktion |
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AutorIn: | Max Scheid |
Datum: | |
Dauer: | 10:01 Minuten bisher gehört: 210 |
Manuskript
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Nachdem die Amtszeit 2005 von fünf auf acht Jahre verlängert wurde, wurde diese Änderung 2013 revidiert und wieder auf 5 Jahre verkürzt. Nun will das Land Niedersachsen die Amtszeit wieder erhöhen. Ein Argument, welches das Land vorbringt, ist, dass viele politische Projekte lange Planungs- und Durchführungszeiten benötigen. Diesem Argument folgt auch Sven Wolter. Der 2021 gewählte Bürgermeister von Dassel teilte uns in einem Interview mit, dass gerade Bürgermeister:innen, in ihrer ersten Amtszeit nach einer Einarbeitungsphase nur noch begrenzt Zeit haben um Projekte abzuschließen.
O-Ton 1, Wolters, 23 Sekunden:
„Wenn man jetzt nur einen Zeithorizont von 5 Jahren hat, man beginnt so eine Amtszeit als Bürgermeister, geht in der Regel davon aus, dass man sich auch erst mal so ein gutes Jahr in seine Aufgaben einarbeiten muss.Und wenn man dann sieht, man hat ungefähr 3 Jahre so gute 3 Jahre, um wirklich Projekte anzuschieben und auch mit umzusetzen, dann wird das schon ziemlich knapp.“
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Der junge Bürgermeister hält daher eine Rückkehr zu der ehemaligen 8-jährigen Amtszeit für am Sinnvollsten. Dr. Stephan Meyn Pressereferent des Niedersächsischen Städte und Gemeindebund
und Dr. Joachim Schwind Geschäftsführer des Niedersächsischen Landkreistag unterstützen dieses Argument und betonen, dass Politische Projekte von der Planung über die Durchführung bis zum Abschluss viel Zeit beanspruchen und einen langen Atem der Bürgermeister:innen erfordern.
Gegen dieses Argument spricht Dirk Schuhmacher, Sprecher für Niedersachsen des MehrDemokratie e.V.,
O-Ton 2, Schumacher, 26 Sekunden:.
„Es gibt viele, viele Großprojekte, die haben mehrere Regierungschefs erlebt und mehrere Bürgermeister. Also es ist in der Regel oft so, dass Projekte länger brauchen, das liegt in der Natur der Sache. Demokratie ist ein Amt auf Zeit, dass Leute dann mal gehen und Projekte, Großprojekte auch, gerade was sie sagten, Klimawandel, da werden sich dann halt andere die Nachfolgerinnen und Nachfolger dieser Leute damit beschäftigen müssen. Also ich finde das Argument schwach tatsächlich.“
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Grundsätzlich kann dem Argument von Schuhmacher gefolgt werden. Es ist allerdings auch verständlich, dass es im Interesse der Bürgermeister:innen liegt, Projekte die sie angestoßen haben, auch in Ihrer Amtsperiode zu beenden, sodass nicht die Nachfolgerin oder der Nachfolger die Lorbeeren einheimst. Allerdings ist dies laut dem langjährigen Bürgermeister von Friedland, Andreas Friedrichs, kein neues Problem. Politische Prozesse durchzuführen, von der Idee bis zur Wirkung, sei schon immer ein langer Weg gewesen.
Wenn politische Projekte schon immer langwierige und zeitaufwendige Prozesse waren, ist es allerdings verwunderlich, dass jetzt die Amtszeit erhöht werden muss, während dies 2013 als die Amtszeit verkürzt wurde scheinbar kein Problem darstellte.
Ein weiterer Punkt, der oft als Grund für eine Amtsverlängerung angeführt wird ist, dass laut dem Niedersächsischen Landkreistag sowie dem Niedersächsischen Städte- und Gemeindebund, die Attraktivität des Berufs der Hauptverwaltungsbeamt:innen gesteigert werden muss. Dies sei nötig, da sich immer weniger vor allem junge Menschen entscheiden würden, diesen Weg einzuschlagen.
O-Ton 3, Meyn, 25 Sekunden:.
„Wir stellen fest, dass in den vergangenen Jahren es immer schwieriger geworden ist, geeignete Bewerberinnen und Bewerber für diese Ämter zu finden.Gerade in den kleineren Samtgemeinde und Gemeinden ist das nicht mehr üblich. Dass es eine große Auswahl an Bewerberinnen und Bewerbern gibt. Und 5 Jahre sind eben keine lange Perspektive, gerade für junge Menschen, die Karriereplanung aufzugeben und sich auf dieses Abenteuer einzulassen.“
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Neben Gründen wie dem ständigen in der Öffentlichkeit Stehen, der hohen Verantwortung sowie einer hoher Arbeitszeit, hält junge Menschen vor allem auf, dass sie Ihren Job aufgeben müssen. Dies sei laut Schwind, Geschäftsführer des Niedersächsischen Landkreistags, ein umso höheres Risiko, da bei vielen Jobs keine Rückkehrmöglichkeit bestehen würde.
Auch Friedrichs bestätigt dies. Der seit 2001 tätige Bürgermeister wurde innerhalb seiner Amtszeit sowohl für 5 als auch für 8 Jahre gewählt. Seine erste Amtsperiode betrug 5 Jahre. Was dies damals für ihn bedeutet hat und, welche Vorteile eine 8-jährige Amtszeit aus seiner Sicht hat, erklärte er uns in einem Interview.
O-Ton 4, Friedrichs, 27 Sekunden:.
„Ich musste meinen alten Job kündigen. Ich war bei der Stadt Göttingen und musste da kündigen und 96 gebaut, 2001 dann in die in die Wahl des Hauptverwaltungsbeamten gegangen. Das ist ein riesen Risiko, aber ich hatte Lust dazu was anderes zu tun, ich war in so einem Punkt in meinem Leben, wo ich mir überlegt habe, was will ich jetzt tun? Aber das Risiko, was man da eingeht als junger Mensch, Familienvater, gerade ein Haus am Abbezahlen, das ist schon unglaublich, das muss man auch sagen.“
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Eine Möglichkeit mehr Menschen überzeugen zu können, Hauptverwaltungsbeamte oder Hauptverwaltungsbeamter werden zu wollen, sei also die Erhöhung der Amtszeit und damit der Planungssicherheit, wie auch Dassels Bürgermeister Wolters bestätigt.
O-Ton 5, Wolters, 32 Sekunden:.
„Grundsätzlich macht einfach eine längere Amtszeit dieses Amt als Perspektive einfach spannender und attraktiver, denke ich mal, weil man sich eben auch im Klaren darüber sein muss, dass junge Leute junge Bewerberinnen und Bewerber dafür auch vielleicht eine gerade begonnene auf Laufbahn oder Karriere dann auch letztendlich aufgeben. Das ist ja auch durchaus ein mutiger Schritt, sich auf so ein Amt dann zu bewerben und auch wählen zu lassen und mit längeren Amtszeiten gewinnt man einfach mehr Sicherheit und Kontinuität.“
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Eine andere Möglichkeit die diskutiert wird, ist die Erhöhung der Besoldung, statt der Amtszeit. Mit solch einer Lösung wäre allerdings keiner der von mir interviewten Vertreter zufrieden. So kommentiert beispielsweise Bürgermeister Friedrichs:
O-Ton 6, Friedrichs, 6 Sekunden:.
„Wer glaubt diesen Job attraktiv zu machen mit einer Besoldungsgruppe der hat die Inhalte eines Bürgermeisteramtes nicht verstanden.“
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Ob das Problem der mangelnden Bewerber:innen auf das Bügermeister:innen-Amt tatsächlich so drastisch ist, sieht Schumacher von MehrDemokratie kritisch.
O-Ton 7, Schumacher, 23 Sekunden:.
„Wenn man sich zum Beispiel die Wahl 2021 anguckt, da gab Wahlen in vielen Gemeinden, dann ist es halt so, dass in 60 Kommunen , das haben wir mal ausgewertet, tatsächlich nur eine Kandidatin oder ein Kandidat war, aber in über 70 Gemeinden 4 oder mehr Kandidatinnen Kandidaten waren und bei den Oberbürgermeisterwahlen waren es im Schnitt sogar 7 Leute, die da kandidiert haben. Ganz nach Mangel schaut es nicht aus.“
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Ein weiteres Argument, welches 2013 zur Verkürzung der Amtszeit angeführt wurde, ist die Synchronität der Wahlen der kommunalen Vertretungen, also der Räte und Kreistage, sowie der Hauptverwaltungsbeamten. Davon versprach man sich eine höhere Wahlbeteiligung sowie ein Ausbau des demokratischen Prinzips der Kontrolle durch die Wählerinnen und Wähler.
Diese Punkte würden durch die jetzt diskutierte Amtszeitverlängerung, und der damit verbundenen Aufhebung der gleichzeitigen Wahlen, wieder nichtig. Zumindest, wenn die Amtszeit auf 8 Jahre erhöht werden würde. Diese Zahl wird zwar oft genannt, da es diese Amtszeit in Niedersachsen bereits gab, allerdings werden als Kompromisslösungen auch andere Amtszeiten diskutiert.
O-Ton 8, Schwind, 37 Sekunden:.
„Dann ist in der Tat ein Kompromiss, doch man mit einer siebeneinhalbjährige Amtszeit versucht, sozusagen bei jeder dritten Hauptverwaltungsbeamten Wahl jeder zweiten Wahlperiode, dann immer synchron zu wählen, also 15 Jahre ab heute wären immer die Wahlzeiten für den Rat oder den Kreistag und siebeneinhalb und 15 mit der Möglichkeit der Synchronisierung dann wieder zusammen, wäre die Amtszeit für die Hauptverwaltungsbeamtinnen und Hauptverwaltungsbeamten, das erscheint uns ein gut gangbarer Weg, da haben wir auch im Präsidium schon beraten, dass wir das als sehr akzeptablen und respektablen Kompromiss empfinden würden.“
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Bürgermeister Friedrichs, hält eine Synchrone Wahl allerdings eher für einen Nach- als für einen Vorteil. Bei einer gleichzeitigen Wahl der Hauptverwaltungsbeamt:innen sowie der ehrenamtlichen Gemeinderatsmitglieder, bestünde die Gefahr, dass die Wahl der Ratsmitglieder untergeht. Eine asynchrone Wahl hingegen, würde eine höhere Aufmerksamkeit auf die Gemeinderatswahl ermöglichen, was laut Friedrichs gerade für die ehrenamtlichen schön wäre. Ob die Zusammenlegung überhaupt einen Effekt auf die Wahlbeteiligung hatte, kann laut Meyn vom Niedersächsischen Gemeinde- und Städtebund bezweifelt werden:
O-Ton 9, Meyn, 10 Sekunden:.
„Nein, also es ist nicht zwingend so, dass die Zusammenlegung der Wahlen von Vertretungen und Hauptverwaltungsbeamtinnen und Beamten die Wahl an sich attraktiviert haben.“
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Eine mögliche Lösung um die Wahlbeteiligung zu erhöhen ohne die Kommunalwahlen aufeinander abzustimmen, könnte laut dem Niedersächsischen Landkreistag ein genereller Wahltag für Hauptverwaltungsbeamt:innen sein. Dieser könnte zu einer landesweiten Sensibilisierung und einer höheren Wahlbeteiligung beitragen. Wie und mit welchen Kompromissen auch immer die Amtszeitverlängerung eingeführt werden würde, fest steht, dass die Bürger:innen weniger oft die Chance hätten an die Wahlurne zu treten.
O-Ton 10, Schumacher, 29 Sekunden:.
„Das sind also die Argumente, die angeführt werden. Für diese Verlängerung haben die Interessen der Wählerinnen und Wähler nicht im Blick, verlängerte Amtszeit bedeutet, sie dürfen seltener Wählen, und Wahlen sind das demokratischen Mittel der Bürgerinnen und Bürger neben der direkten Demokratie, damit nehmen wir Einfluss auf die Politik, und wenn wir seltener wählen dürfen, haben wir weniger Einfluss. Es gab mal einen Kanzler der SPD, der wollte mehr Demokratie wagen, jetzt haben wir SPD Ministerpräsidenten, der das nicht will, und das ist inakzeptabel und kommt einer Entmachtung der Bürgerinnen und Bürger gleich, und da ist dann klar, dass sie das nicht wollen.“
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Dem entgegnet Friedlands Bürgermeister Friedrichs, dass die Demokratie auf kommunaler Ebene aus seiner Sicht immer noch ganz gut funktioniere und der Zugriff der Wähler:innen auf die kommunal Politik nicht nur bei Wahlen, sondern täglich stattfindet. So hätten die Menschen in den Kommunen die Chance sich auch außerhalb von Wahlen in die Politik einzubringen, bspw. indem Sie an Sitzungen teilnehmen. Kommt die Amtszeitverlängerung, fordert MehrDemokratie Bremen/Niedersachsen, dass die Abwahlmodalitäten von Bürgermeister:innen geändert werden. Es gibt zwar theoretisch die Möglichkeit Bürgermeister:innen abzuwählen.
O-Ton 11, Schumacher, 34 Sekunden:.
„Dies funktioniert aber bisher in Niedersachsen nur auf Initiative des Rates. Die müssen mit einer bestimmten Mehrheit den Antrag stellen und dieser Antrag muss dann die Mehrheit von 3 Vierteln der Ratsmitglieder finden, also das ist eine sehr hohe Hürde, diese Hürde müsste man die einfach mindestens mal senken. Es gibt auch Bundesländer, wo man das per Bürgerbegehren anstoßen kann. Könnte man drüber nachdenken. Insgesamt bedeutet für mich einfach, wenn der Bürgermeisterin, die Bürgermeisterin und Bürgermeister 8 Jahre im Amt ist, ist es weniger Einfluss für Bürgerinnen und Bürger auf die Kommunalpolitik vor Ort.“
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Letztlich muss abgewogen werden, ob die Pro-Argumente die Contra-Argumente, hauptsächlich die Begrenzung der demokratischen Mittel der Wähler:innen, aufwiegen. Weiterhin stehen wie gehört, diverse Kompromisse zur Diskussion. Abschließend wird das Thema Verlängerung der Amtszeit von Hauptverwaltungsbeamt:innen sicherlich noch einiges an Diskussion und Austausch benötigen, bis alle Seiten eine für Sie passende Lösung gefunden haben. Zumindest ist es zu hoffen, dass diese Diskussionen stattfinden, und die Landesregierung keinen Alleingang macht, der aufgrund unzureichender Abstimmung in wenigen Jahren dann erneut gekippt wird.
In einem letzten Punkt scheinen sich dann nochmal alle einig. Wie auch immer die Diskussion aus geht und welche Amtszeit in Zukunft gilt, das hin und her der letzten Jahre hat niemandem gefallen.
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