Sendung: Mittendrin Redaktion
AutorIn: Johanna Spering
Datum:
Dauer: 03:47 Minuten bisher gehört: 236
Millionen Tonnen von radioaktivem Wasser aus den Abwassertanks des havarierten Atomkraftwerks Fukushima in Japan sollen in den Pazifik geleitet werden. Zwar sollen dem Wasser vorher durch Filterungsprozesse die meisten radioaktiven Stoffe entzogen werden, unumstritten ist dieses Vorgehen aber nicht. Gut zehn Jahre ist es jetzt her, dass das Reaktorunglück in Japan stattgefunden hat. Vor kurzem hat sich auch eine andere Atomkatastrophe gejährt – nämlich der GAU, also der größte anzunehmende Unfall, der im April 1986 im ukrainischen Tschernobyl passiert ist. Brände und Explosionen haben dabei große Mengen radioaktives Material in die Umwelt entlassen, ganz Westeuropa hat die Auswirkungen damals zu spüren bekommen. Über die folgenreiche Havarie des Kernkraftwerks Tschernobyl ist nun auch eine Serie produziert worden. Johanna Spering stellt sie Ihnen vor!

Manuskript

Text
Es sind Momente grausiger Faszination: Die Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt Prypjat starren gebannt auf das lodernde Feuer des naheliegenden Reaktors im Kernkraftwerk Tschernobyl. Durch das beeindruckende Farbenspiel am Himmel entsteht eine nahezu romantische Stimmung. Die Menschen ahnen zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht, welche zerstörerische Wucht dahintersteckt. In der Miniserie „Chernobyl“ wird die unsichtbare Bedrohung der durch diese Katastrophe ausgelösten Strahlenbelastung effektvoll dargestellt: Feuerrote Gesichter durch Strahlenverbrennungen auf der Haut der Helfenden vor Ort, das unkontrollierte Plätschern des radioaktiven Kühlwassers, Zeitlupenaufnahmen von Menschen, auf deren Haut sich kleinste Aschepartikel absetzen, während sie die verseuchte Luft tief einatmen. Die fünfteilige Serie „Chernobyl“ stammt aus dem Jahr 2019. Der Drehbuchautor Craig Mazin hat es geschafft, die Katastrophe von Tschernobyl so lebhaft und detailreich darzustellen, dass Zuschauende fast glauben könnten, selbst vor Ort gewesen zu sein. Die Hauptfiguren basieren dabei auf echten Personen: Ihre Rolle in der Nuklearkatastrophe, aber auch ihre persönlichen Schicksale, werden in der Serie näher beleuchtet. Eine sehr prägende Persönlichkeit ist die des Wissenschaftlers Valery Legasov. Er ist Mitglied der Regierungskommission, die nach der Reaktorexplosion einberufen wurde. Sie soll zur Aufarbeitung und Lösung der Katastrophe dienen. Ihm zur Seite steht die belarussische Atomphysikern Ulana Khomyuk. Sie ist eine der wenigen fiktiven Charaktere und soll vertretend für alle Wissenschaftler*innen stehen, die während dieser Zeit unermüdlich an der Aufklärung des Unglücks gearbeitet haben. Die Arbeit der beiden Forschenden unterstreicht in der Serie die Gegensätzlichkeit zwischen warnender Wissenschaft und totalitärer Regierung: Keiner war angemessen auf den Super-GAU vorbereitet. Zunächst wurde trotz Warnung der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von der Regierung keine Evakuierung des Krisengebietes veranlasst. Systemkritische Forschende wurden vom KGB überwacht oder teilweise sogar verhaftet. Die Menschen waren der Strahlung somit weiter ausgesetzt. Thematisiert wird in der Serie auch die große Zahl von Soldaten und Helfern, den sogenannte Liquidatoren, die dann in das später eingerichtete Sperrgebiet rund um den Reaktor beordert wurden, um radioaktive Überreste zu beseitigen. In einer sehr bewegenden Szene der Serie wird beispielsweise beschrieben, wie einzelne Trupps eingesetzt wurden, um verstrahlte Nutztiere zu schlachten und zurückgelassene Haustiere zu erschießen. Die Folgen des Unglückes werden hier als menschlicher Wahnsinn portraitiert, unter dem eine ganze Generation, vor allem junger Männer, zu leiden hatte. Aus historischer Sicht kann an der Serie möglicherweise die künstlerische Freiheit bemängelt werden, durch die verpasst wurde, bestimmte Ereignisse chronologisch korrekt aufzuarbeiten. Auch wurde wohl aus dramaturgischen Gründen an einigen Stellen die Handlung sehr zugespitzt. Was bleibt ist, dass der Kalte Krieg zwar heute längst beendet ist, aber die einstigen Spannungen zwischen Ost und West bis heute ihre Auswirkungen haben. Die Todeszahlen im Zusammenhang mit Tschernobyl beispielsweise belaufen sich je nachdem, auf welche staatlichen Angaben man sich beruft, auf sehr unterschiedliche Zahlen. Die Verfilmung der Atomkatastrophe sendet dabei aber eine wirkungsvolle Aussage über die Zerstörungskraft von Atomenergie und die Gefahren, die von ihr ausgehen.