Sendung: Mittendrin Redaktion
AutorIn: Tina Fibiger
Datum:
Dauer: 05:09 Minuten bisher gehört: 138
Das Deutsche Theater hat seine Tiefgarage als Bühnen- und Zuschauerraum reaktiviert. Weil der klassische Spielbetrieb aufgrund der Abstands- und Gesundheitsvorschriften ruhen muss, erforscht das Team von Intendant Erich Sidler ein neues Format mit einem Theaterparcours in der Tiefgarage. Aus Motiven des Romans „Corpus Delicti“ wurde die Szenenfolge „Die Methode“ entwickelt, die sich dem Lebensalltag mit Corona aus verschiedenen Perspektiven widmet. Dabei erleben die Zuschauer die Vorstellung wie im Autokino in ihren Fahrzeugen. Einen geschützten Raum bekommen auch die Schauspieler für ihre Monologe an den verschiedenen Schauplätzen dieses Theaterparcours, der am 9. Mai in der Inszenierung von Antje Thoms Premiere hat. Tina Fibiger berichtet über ein dramatisches Statement in der DT-Tiefgarage.

Manuskript

Text

Wie funktioniert das Zusammenleben unter erschwerten Bedingungen mit Mundschutz und in vermeintlicher Distanz? Was verändert sich, wenn das Bedürfnis nach Nähe und Verständigung in vertrauter Umgebung zum Gesundheitsrisiko erklärt wird? In Juli Zehs Roman „Corpus Delicti“ erfahren diese Fragen eine radikale Zuspitzung, weil die Gesundheit der Bürger zum Staatsprinzip erhoben wurde. Es gibt strenge Regeln, das Bestmögliche für seinen Körper zu tun und ein staatliches Überwachungssystem, das jeden Verstoß bestraft. Für DT-Intendant Erich Sidler versteht sich das geplante Szenario „Die Methode“ in der DT-Tiefgarage auch als kritischer Befund zum aktuellen gesellschaftspolitischen Klima während der Pandemie.

 

O-Ton 1, Erich Sidler, 43 Sekunden

Corpus Delicti“ ist ja die Auseinandersetzung mit einer Pandemie, die quasi über die Menschen, über die Gesellschaft kommt und ihr abverlangt, sich einen Gesundheitsbegriff zu erschaffen, der politisch instrumentalisiert wird. Das ist eine Sensibilisierung, die wir vornehmen wollen, indem wir die Frage aufwerfen: Was geht eigentlich in Momenten wie die der letzten Wochen an Bürgerrechten verloren beziehungsweise, was wird plötzlich selbstverständlich als eine Form von Spielraum hingegeben, damit man ein gewisses politisches Szenarium durch deklinieren kann?“

 

Text

An den verschiedenen Stationen dieses Theaterparcours werden die Zuschauer mit gegensätzlichen Positionen konfrontiert, wie sie auch den öffentlichen und den privaten Diskurs um die Corona-Pandemie prägen: Zu Wort kommen die Befürworter noch strengerer Schutzmaßnahmen und Verhaltensvorschriften wie auch die Gegner, die dabei nicht nur ihre individuelle Freiheit gefährdet sehen, sondern das Zusammenleben in einem demokratischen Gesellschaftsmodell. Diese erschwerten Bedingungen sind ein Thema, das Sidler ebenfalls mit dem Theaterprojekt in der Tiefgarage verbindet, wo Zuschauer und Schauspieler einander in getrennten Räumen nur aus der Distanz begegnen können.

 

O-Ton 2, Erich Sidler, 49 Sekunden

Wir haben ja auch erlebt, was Isolation heißt und deswegen ist natürlich die Isolation, also auch im Theater als Isolation zu thematisieren, reizvoll: Man hält nur den visuellen Kontakt und hat eine größtmögliche Verbindung durch die Audioübertragung. Aber im Grunde genommen geht es darum, diese Isolation zu erleben, aber auch, um immer wieder die Frage zu stellen: Was nehmen wir eigentlich in Kauf und inwiefern verändert uns das? Wesentlich ist ja, dass wir durch diese vier Teile in der Tiefgarage selber eine Situation schaffen müssen, wo wir keine Dialoge haben sondern nur Monologe. Also man kann im Grunde nur immer eine Perspektive auf das Geschehen erläutern. Es ist im Grunde genommen ein Kaleidoskop, was unterschiedliche Einblicke auf ein Gefüge zulässt.“

 

Text

Solange der Spielbetrieb auf den drei Bühnen des Deutschen Theaters ruht, sind natürlich andere Szenarien im Gespräch. Und natürlich heißt es abwarten für Erich Sidler und sein Team, ob und wann Vorstellungen in einer bestimmten Größenordnung mit Abstandsregelegungen wieder möglich und auch realisierbar sind.

 

O-Ton 3, Erich Sidler, 55Sekunden

Es gibt beispielsweise die Möglichkeit, dass die Landesregierung Veranstaltungen unter 100 Zuschauer/innen gestatten wird, früher oder später. Das würde bedeutet, dass wir das DT-2 bespielen können und dann stellt sich die Frage: Ja, macht das Sinn, vielleicht bei verschiedenen Vorstellungen vielleicht zweimal am Tag zu spielen, vielleicht auch Vorstellungen, die wir eigentlich normalerweise im großen Haus spielen würden, da unten zu spielen? Es gibt das Szenario, dass man mit einer verteilten Zuschauerordnung das große Haus bespielen kann. Es gibt das Szenario, dass wir zu einer Normalität kommen und es gibt natürlich die Tatsache, dass wir dabei bleiben müssen, indem wir das DT- Tiefgarage- zu einer Spielstätte ummodeln. Natürlich müssen wir festhalten an der Idee, dass Theater wieder eine Versammlung von Menschen ist und da kann eine Tiefgarage nur einen Aspekt beleuchten.“

 

Text

An der Inszenierung „Die Methode“ ist das gesamte Ensemble beteiligt. Jede der Rollen ist fünffach besetzt, so dass in den abendlichen Vorstellungsserien bei jeder Aufführung andere Schauspieler in den dramatischen Monologen mit ihrem Publikum ins Gespräch kommen. Für den DT-Intendanten gehört auch das zum Konzept des Abends, dass das gesamte Ensemble Stellung nimmt, wenn in einer Pandemie Persönlichkeitsrechte zur Disposition stehen.