Sendung: Mittendrin Redaktion
AutorIn: Tina Fibiger
Datum:
Dauer: 05:03 Minuten bisher gehört: 152
Der Fall ist aktenkundig. Die Frau hat ihren Vergewaltiger angezeigt. Doch es bleibt nicht bei dieser traumatischen Erfahrung. Freunde und Bekannte ziehen sich zurück und dann machen Gerüchte die Runde, dass sie die Vergewaltigung vielleicht sogar herausgefordert hat. „Geteilt“ heißt das Stück von Maria Milisavljevic, das sich den Zumutungen widmet, denen das Opfer ausgesetzt ist. Am vergangenen Wochenende hatte die Uraufführung Premiere im Deutschen Theater. Auf der DT-2-Bühne inszenierte Moritz Beichl die Begegnung einer Überlebenskämpferin mit diesem Chor der Stimmen und der geteilten Meinungen. Tina Fibiger war für uns dabei.
Dieser Beitrag wird Ihnen präsentiert von: Das Backhaus

Manuskript

O-Ton 1, Einspieler „Geteilt“, 31 Sekunden

Gesetzt ist, diese Vergewaltigung ist geschehen.“ - „Die Autorin, die sich der Schwere dieses Wortes durchaus bewusst ist.“ - „Gesagt ist: Diese Vergewaltigung war alles, was nach deutschem Recht eine Vergewaltigung definiert. Auftritt: Das deutsche Recht.“ - „Hier sei benannt § 177. Der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder ähnliche sexuelle Handlungen mit dem Opfer vornimmt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden ist.“ - „Ja, das ist der Grund.“

 

Text

Das deutsche Recht wird auf der Bühne schon bald überstimmt. Auch die Erzählung der Frau kämpft sich mühsam durch die Meinungen, die über diesen Abend kursieren. Sie hatte ihren langjährigen Kollegen und Geschäftspartner nach einer Betriebsfeier zu sich eingeladen, weil sie auf das freundschaftliche Bündnis vertraute. Das sollte sie für den Moment auch über den Tod ihres Vaters trösten und nicht mit einer Vergewaltigung enden. Jetzt heißt es, sie sei in ihn verliebt gewesen und hätte sich die Folgen vielleicht sogar selber zuzuschreiben. In den sozialen Netzwerken zieht der Schwarm über sie her und natürlich erinnert auch der Täter den Abend ganz anders.

 

O-Ton 2, Einspieler, „Geteilt“ , 31 Sekunden

Ich hab 20 Tequila intus und du stehst hier und ziehst dir die Bluse aus.“ - „Weil du dein Hemd... ich habe dir Wein rüber gekippt.“ - „Du bist so wunderschön. Wenn du dich sehen könntest.“ - „Kannst du vielleicht loslassen? Meine Hand, mein Arm, das ist ein bisschen fest.“ - „Sie spürt, wie die kleinen Steinchen im Beton gegen ihre Wangen pressen. Sie merkt, wie ihre Hüftknochen gegen diese kleinen Steinchen scheuern. Sie kann ihren Körper nicht aus dieser Umarmung zerren.Wie kann das sein?“

 

Text

In den Bühnenraum hinein ragt ein grauer Laufsteg, auf den nicht nur die Zuschauer von drei Seiten blicken. Einzelne Plätze nehmen immer wieder die Schauspieler ein, um die Haltung des Opfers zu kommentieren und dann erneut mit ihren Figuren die Debatte zu dominieren. Die Frau des Täters wird ihren Mann in Schutz nehmen. Der Täter wird in Selbstmitleid baden und sich dann für das juristische Duell wieder selbstbewusst aufrüsten. Die Kolleginnen betrachten den Absturz ihrer erfolgsverwöhnten Chefin auch mit ein bisschen Häme. Bei den Online-Freundschaften, die die Frau imaginiert, hält sich das Mitgefühl ebenfalls in Grenzen, nachdem ihr berufliches und persönliches Kontaktnetz zusammengebrochen ist. Ihr zur Seite steht jetzt nur noch der tote Vater, der Halt geben will und seine einsame Tochter trostreich bestärken.

 

O-Ton 3, Einspieler „Geteilt“, 34 Sekunden

Jetzt bin ich mini. Ich passe überall rein. Nimm mich hoch, setzt mich auf deine Schulter. Jetzt kannst du mich überall hin mitnehmen und ich gehe nie wieder weg. Und wenn du willst, setzt du mich abends auf deinen Nachttisch und ich sing dir was vor. Ich passe immer auf dich auf. Ich gehe jetzt nie wieder weg. Ich bleibe einfach hier. Tagsüber kannst du mich in deine Jackentasche stecken. Keiner weiß, dass ich da bin, nur du weißt es. Und wenn dich jemand verletzt, dann krieche ich in seine Kaffeetasse, schwimm nackig eine Runde und pinkele hinein.“

 

Text

Eine reale und eine virtuelle Umwelt macht sich in „Geteilt“ ihren verletzenden Reim auf das Vergewaltigungsopfer. Dieser Blick auf geteilte Meinungen und Spekulationen prägt auch die Inszenierung von Moritz Beichl. Die Figuren erfahren eine Innen- und eine Außensicht, wie sie sich den Fakten verweigern, wenn Geschäfte auf dem Spiel stehen, das gesellschaftliche Standing und die Zukunft der Familie. Die Tat als solche lässt sich möglicherweise ja auch finanziell lukrativ bereinigen. Und wo das Vergewaltigungsopfer öffentlich vor allem als hilflos und verletzlich wahrgenommen wird, findet sich auch stets ein Chor der Stimmen, der über Ängste und Unsicherheiten herzieht, weil dafür in einer Erfolgs- und Wettbewerbsgesellschaft eigentlich kein Platz ist.

 

O-Ton 4, Einspieler „Geteilt“, 17 Sekunden

Warum schreit sie nicht?“ - „Weil er gesagt hat: Schrei nicht.“ - „Die Autorin, die dabei um das Bebildern nicht herumkommt, denn nur eine starke, klare, Anfangsszene lässt den Täter später nicht vom Haken.“ - „Sie hat nicht mal bemerkt, wie er ihre Beine auseinander geschoben hat. Er spuckt sich in die Hände, als er in sie eindringt, zuckt sie zusammen.“

 

Text

Auf die Vielzahl an Stimmen, Meinungen und Reaktionsmustern, die in den Begegnungen, den inneren Reflektionen und dem chorischen Aufruhr zur Sprache kommen, müssen sich die Zuschauer einlassen wie auf ein Panoptikum. Da kollidieren die Gedanken, die Assoziationen und vor allem die Emotionen in Bruchstücken, die die Verständigung suchen und die Einsicht. Es sind die Zumutungen, mit denen Maria Milisavjevic ihre Überlebenskämpferin konfrontiert.