Sendung: Mittendrin Redaktion
AutorIn: Tina Fibiger
Datum:
Dauer: 03:55 Minuten bisher gehört: 148
Das Thema Sterbehilfe hat viele Facetten. Dazu gehört neben der Angst vor dem Tod und der Furcht vor unerträglichen Schmerzen bei tödlichen Erkrankungen auch die Abhängigkeit von der Gerätemedizin. Diesen Aspekten wie auch Fragen zur Patientenautonomie und dem Wunsch nach selbstbestimmten Sterben widmete sich gestern Abend eine Diskussion im Literarischen Zentrum. Sie stand dem Motto „Einmischen! Warum wir über Sterbehilfe sprechen sollten“. Der Göttinger Palliativmediziner Bernd Alt-Epping und die Philosophin Ina Schmidt nahmen dazu Stellung im Gespräch mit dem Autor Christian Schüle. Tina Fibiger war für uns dabei.

Manuskript

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Mit ihrem Buch „Über die Vergänglichkeit“ stiftete die Hamburger Philosophin Ina Schmidt den Anlass für die Diskussion über das Thema Sterbehilfe. Ihre „Philosophie des Abschieds“ stand zwar nicht im Zentrum des Gespräches. Dennoch geht es an diesem Abend bei der Frage um ein würdevolles Sterben unter selbstbestimmten Bedingungen auch darum, den Tod als solches zum Thema zu machen und sich der damit verbunden Angst auch zu stellen. Dafür plädiert Schmidt.

 

O-Ton 1, Ina Schmidt, 28 Sekunden

Dass es gar nicht darum geht, diese sozusagen zu vermeiden, sondern einfach mit ihr auch ein Stück weit leben zu lernen und einzuwilligen, dass wir trotz dieser Angst ein gutes Leben führen können. Es gibt einen sehr schönen Text von Michel de Montaigne, einem Philosophen der Renaissancezeit, der gesagt hat: Wir müssen eigentlich dem Tod seine Bedrohung nehmen, indem wir ihn so oft wie möglich thematisieren und ihn sozusagen zu uns einzuladen und den Mut haben, uns auch diesen manchmal unbequemen oder tabuisierten Fragen zu widmen.“

 

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Die unbequemen Fragen betreffen in der Diskussion natürlich vor allem den medizinischen Alltag. Dazu gehört der Komplex der lebensverlängernden Maßnahmen, den Menschen verweigern, die über den Zeitpunkt ihres Todes selbst entscheiden möchten. Der Göttinger Palliativmediziner Bernd Alt-Epping berichtet von Umfragen, bei denen Patienten auch deshalb für das Recht auf Sterbehilfe plädieren, weil sie neben qualvollen Schmerzen und Leid am Lebensende auch den Verlust ihrer Menschenwürde befürchten.

 

O-Ton 2, Bernd Alt-Epping, 30 Sekunden

Den Menschen einfach auch dann zuzusichern, dass sie eben alle Unterstützung bekommen in dem Prozess, die es braucht, eben halt diese Phase des Lebens auch aushaltbar zu halten. Dass es solche Unterstützung auf jeden Fall gibt. Und auch für die meisten Probleme zumindest, die eben halt in solchen erkrankten Situationen dann auf die Menschen ja dann einprasseln, seien es medizinische Probleme oder pflegerische oder psychosoziale Probleme.“

 

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Alt-Epping verweist in der Diskussion über die professionelle Sterbehilfe, wie sie in Belgien oder in der Schweiz praktiziert wird, auch auf das ethische Selbstverständnis: Dass die Patientin, die nach einem Schlaganfall nicht mehr an ihrer Umgebung teilhaben kann, immer ein Leben in Würde leben kann. Er berichtet aber auch von individuellen Notfallsituationen und dem Fall eines Tumorpatienten, der die letzten Wochen unter extremer Atemnot einfach nicht mehr aushalten möchte: Dass Ärzte auch für eine Therapiebegrenzung plädieren können, die eben nicht mit Sterbehilfe gleichzusetzen ist und solche Entscheidungen auch in Patientenverfügungen benannt werden können. Der Göttinger Palliativmediziner hat dabei auch das Thema Patientenautonomie im Blick und wie sie im Kontext des Themas Sterbehilfe auch zur Diskussion stehen sollte.

 

O-Ton 3, Bernd Alt-Epping, 24 Sekunden

Dass man als Gesellschaft auch darüber einfach noch mal reflektiert, mit welchen Problemen wir auch konfrontiert sind, mit Leiden, mit Angewiesensein, mit Unterstützungsbedürftigkeit: Dass man über diese Dinge einfach anders nachdenkt und klar stellt, dass es normal ist, auch auf die Hilfe anderer Menschen angewiesen zu sein und eben nicht gleich mit Autonomieverlust und der Suche nach Auswegen wie zum Beispiel eben halt der Selbsttötung verbunden sein muss.“

 

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Dass es Gesprächsbedarf über das Thema Sterbehilfe gibt, bestätigt sich in der abschließenden Publikumsdiskussion. Philosophin Ina Schmidt sieht darin auch ein Signal, diesen öffentlichen Diskurs fortzusetzen, der eben nicht auf rein medizinische oder juristische Fragen zum Thema Sterbehilfe ausgerichtet ist.

 

O-Ton 5, Ina Schmidt, 16 Sekunden

Also dass wir uns eben auch begegnen in solchen Gesprächen als Menschen, die feststellen, dass sie dann in dieser Gemeinsamkeit auch verbunden sind: An der Stelle dieselben Fragen, die selben Nöte und vielleicht auch dieselben Ängste mit sich rumtragen. Und dafür glaube ich, viel häufiger noch solche Abende und solche Räume geöffnet werden sollten.“